Zwei Panik-Tage und die Folgen

Am 6. Mai haben die internationalen Finanzmärkte eine kleine Geisterbahn-Fahrt unternommen. Die Kurse des Dow Jones Index sind in wenigen Minuten um gut 1000 Punkte gesunken.
Aktien von Procter&Gamble, deren Anleihen teilweise am Markt niedriger verzinst werden als US-Staatspapiere, sanken für einige Augenblicke auf 1 Cent. Dasselbe gilt für das ETF iShares Russel 1000 Growth, der die großen Wachstumswerte in den USA abbildet.
Nach etwa einer halben Stunde hatten sich die Kurse wieder einigermaßen erholt, obwohl der Verlust immer noch bei 300 Punkten lag.
Laut FAZ vom 15.Mai – Banken laden Staatsanleihen bei der EZB ab – waren am 6. Mai sogar französische Staatsanleihen nur noch schwer verkäuflich. Kein Wunder, daß Sarkozy alarmiert war.

Zunächst wurde in den Medien verbreitet, die Panik sei durch einen Eingabefehler eines Händlers entstanden, der einen Verkaufsauftrag von 16 Milliarden Dollar statt 16 Millionen Dollar eingegeben habe. Aber dann wurden alle Transaktionen in der fraglichen Stunde einzeln überprüft, und es wurde weder eine Fehleingabe noch eine Fehlfunktion des Systems gefunden. Spätestens jetzt, vermutlich jedoch schon etwas früher, begann die zweite Panik: Die Panik der Politiker.

Am Freitagmorgen wurde der deutsche Anteil des ursprünglichen Griechenlandpaketes im Bundestag mit unglaublicher Geschwindigkeit gelesen, verstanden und genehmigt. Mir ist nicht ganz klar, ob Merkel bereits wußte was am Freitagabend in Brüssel geschehen würde. Vielleicht ist sie in einen Hinterhalt gelaufen. Vielleicht hatte sie es nur für besser gehalten, ihr Wissen bei der Parlamentssitzung noch für sich zu behalten.

Merkel flog abends nach Brüssel, um das Paket im EU-Rahmen formal zu verabschieden.

Schon am Freitag um die Mittagszeit war jedoch Sarkozy nach Brüssel gereist und hatte Einzelgespräche mit Barroso und anderen geführt. Am Abend wurde dann ein zusätzlicher Rettungsfond für alle Euro-Staaten in Höhe von 60 Milliarden Euro beschlossen, der dann in den sechs Stunden zwischen der Schließung der Wahllokale in Nordrhein-Westfalen am Sonntagabend um 18 Uhr und der Öffnung der Börsen in Asien am Montagmorgen auf 750 Milliarden Euro angewachsen ist.
Hinzu kam der Beschluss der Europäischen Zentralbank, bei Bedarf Staatspapiere der Euro-Regierungen mit frisch gedrucktem Geld aufzukaufen und die Zusage der Federal Reserve Bank aus Washington, der EZB eine unbegrenzte Kreditlinie in Dollar zu gewähren. Diese beiden Maßnahmen waren – im Gegensatz zu avisierten 750 Milliarden Euro – keine pure Absichtserklärung, sondern eine sofort wirksame Intervention. Damit beruhigten sich die internationalen Märkte zumindest für ein paar Tage.

Vermutlich hatte das Versprechen der nicht vorhandenen 750 Milliarden Euro auch gar nicht den Zweck, die Märkte zu beeindrucken. Vielmehr sollte politisch überdeckt werden, daß der Euro zum zweiten Male von der US-Notenbank mit hunderten von frisch gedruckten Dollar-Milliarden gerettet wurde.
Diese zweite Rettungsaktion für den Euro war notwendig geworden, nicht weil Griechenland, Portugal oder Spanien ihre Glaubwürdigkeit verloren hätten. Nein, die Berliner Regierung hatte ihre Glaubwürdigkeit in Bezug auf den Euro durch wochenlanges lavieren zerstört. Es ist möglich geblieben, das Verhalten Merkels und Schäubles so zu interpretieren, daß sie nach dem Motto „Lieber ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende“ den Euro an die Wand fahren lassen wollten. Danach hätten sie versuchen können, mit einer Neuauflage einer Deutschen Mark die EU wirtschaftlich allein zu beherrschen.

Unter diesem Blickwinkel ist es möglich, das Geschehen wie folgt zu interpretieren: Sarkozy, Barroso, Trichet und Obama sind zu dem Schluss gekommen wären, daß Merkel den Euro nicht verteidigen will. Dann wäre die Intervention der EZB und der FED nichts anderes als eine SMS an Merkel:
„Dear Angie, if you want to leave, go. But you won’t remain the biggest girl on the block, because we have the will and the means to make the Euro survive even without you. Greetings from Nicolas, Barak, Manuel and Jean-Claude”

(Kein Wunder also auch, daß Roland Koch, in dessen Land die EZB ihre Arbeit verrichtet, sauer auf Merkel ist. Denn der Sitz der EZB ist für Frankfurt und Hessen enorm wichtig)

Merkels Theaterdonner

Beim EU-Gipfel zur Schuldenkrise Griechenlands und weiterer EU-Staaten wurden in der vergangenen Woche folgende Beschlüsse gefasst:

  1. Banken können Staatspapiere auch weiterhin bei der Europäischen Zentralbank (EZB) beleihen, auch wenn die Papiere kein A-Rating mehr haben. Die Regelung ist zeitlich nicht mehr befristet. Die EZB behält sich aber bei der Beleihung von Papieren mit schwachem Rating einen Abschlag vor.
  2. Sollte Griechenland trotz der Regelung, daß Staatspapiere auch ohne A-Rating von der EZB beliehen werden, nicht genügend Schulden machen können, werden IWF und gesündere EU-Staaten die notwendigen Mittel bereitstellen.
  3. Es wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die prüft, wie der institutionelle Rahmen der Euro-Gruppe gestärkt werden kann.
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Was war da Theaterdonner?
Wenn Merkel tatsächlich Griechenland gezwungen hätte, sich für zahlungsunfähig zu erklären und beim IWF um Hilfe zu bitten, wäre das für die Berliner Regierung sehr teuer geworden.
Merkels Regierung ist stolze Alleineigentümerin der Hypo-Real-Estate Bank(HRE). Diese Bank hat in ihren Büchern um die 10 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen, die sicherlich bei der EZB zu Cash gemacht wurden. Diese Anleihen hätten durch einen Staatsbankrott Griechenlands jedes Rating verloren. Dadurch hätten sie selbst nach der aktuellen Regelung bei der EZB nicht mehr als Sicherheit getaugt. Die HRE hätte also sofort ca. 10 Milliarden Euro an die EZB überweisen müssen. Geld, das diese Bank nicht hat, und vom alleinigen Eigentümer eingebracht werden müsste.
Gleichzeitig hätte die HRE diese Anleihen abschreiben müssen. Dadurch wäre die Kernkapitalquote weiter gesunken, und es wäre wahrscheinlich dafür eine weitere Milliardenzahlung Merkels an die HRE notwendig geworden.
Bei der Commerzbank liegen die Dinge nicht viel anders. Diese Bank hat auch mehrere Milliarden griechischer Staatsanleihen in den Büchern, und hätte sicherlich auch keinen Spaß daran, plötzlich mehr als 5 Milliarden Euro abschreiben zu müssen, und gleichzeitig einen ähnlichen Betrag an die EZB zahlen zu müssen.

Warum das ganze Drama?
Die zeitlich und mengenmäßig unbegrenzte Beleihung Staatsanleihen ohne A-Rating sollte in den Hintergrund gedrängt werden. Warum? Es ist ein eleganter Weg, das Bail-Out Verbot in den Euroverträgen zu umgehen. Wenn Banken zeitlich unbegrenzt und Mengenmäßig unbegrenzt Staatspapiere Griechenlands bei der EZB gegen einen geringen Zinssatz zu Cash machen können, warum sollten Sie dann nicht mit 5 Prozent Zins ausgestattete griechische Staatspapiere kaufen?
Die unbegrenzte Beleihung von Staatspapieren durch die EZB erlaubt den Regierungen der Euro-Zone, über Schulden die Geldmenge im Euro-Raum massiv zu erhöhen. Es sollte aber allen Beteiligten klargemacht werden, daß nicht geduldet werden würde, wenn ein Land diese Möglichkeit zu sehr ausnutzt.
Die Aufmerksamkeit der internationalen Kapitalmärkte sollte sich möglichst auf die Nachrichten Nummer 2 und 3 richten. Es sollte möglichst wenig darüber geredet werden, daß die EZB die Kontrolle über die Geldmenge im Euro-Raum teilweise an die beteiligten Regierungen abgegeben hat.
Und Merkel wollte sowohl dem deutschen Verfassungsgericht als auch der deutschen Öffentlchkeit klarmachen, daß sie für einen stabilen Euro mit Zähnen und Klauen kämpft.

Am Ende doch ein Lob
Sicherlich hat sich positiv auf den Euro ausgewirkt, daß Merkel, Sarkozy, Barroso, Trichet und Papandreu perfekt zusammen agiert haben. Sie haben die notwendige Message gesendet, und es sind zwei wichtige Entscheidungen gefallen:
Die Strukturen hinter dem Euro sollen gestärkt werden, und die Euro-Länder versuchen in der Schuldenkrise zusammenzustehen.

Schuldenkrise in Griechenland – ein Dilemma der EU

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Die Schuldenkrise in Griechenland stellt die Europäische Union und Mitglieder der Euro-Zone vor ein großes Dilemma. Drei Ziele müssen gleichzeitig erfüllt werden:

  1. Die Europäische Union kann nicht zulassen, dass in Europa ein Gebiet entsteht, in dem es keine effektive staatliche Kontrolle mehr gibt. Wer wollte sonst verhindern, dass auf Kreta eine neue Bastion des Bankgeheimnisses entsteht.
  2. Der Maastrichter Vertrag schießt ausdrücklich die Möglichkeit aus, dass eine Finanzkrise eines Euro-Landes durch Zuwendungen oder Garantien der EU gelöst werden kann.
  3. Eine dauerhafte Lösung des Problems wird gebraucht.
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Wenn man die Schuldenkrise in Griechenland einfach ihren Gang nehmen lassen würde, entstünde in der Ägäis ein Gebiet mit einem Staat ohne Macht. Der griechische Staat könnte seine Armee und seine Polizei nicht mehr bezahlen. In früheren Jahrhunderten wäre ein solcher Staat einfach von einem neuen Herrscher übernommen worden. Je nach geopolitischen Gegebenheiten war das früher für Griechenland entweder die Türkei oder Italien, oder beide je zum Teil. Nach modernem Völkerrecht ist dies jedoch nicht möglich.

Für die meisten Regierungen in Europa ist die Versuchung groß, zur Lösung der Schuldenkrise in Griechenland den Vertrag von Maastricht auszuhebeln, und das Problem mit Krediten und Garantien zu lösen. Als Ausgleich würde von Griechenland eine Aufgabe seiner Souveränität verlangt und eine Art Zwangsverwaltung von Brüssel aus eingeführt. Das wäre natürlich ein gefundenes Fressen für alle, die einen europäischen Superstaat anstreben. Gleichzeitig würde die Beschränkung des Staatsdefizits auf 3 Prozent des Bruttoinland-Produktes aufgehoben. Dieses ist jedoch eine der wenigen verbliebenen Schranken, die uns vor den Fantasien der Machthaber in Berlin und anderswo von staatlicher Allmacht bewahren.
Glücklicherweise wäre ein solches Konzept in Griechenland nicht durchsetzbar, und würde auch in Deutschland dazu führen, dass die verantwortlichen politischen Parteien für lange Zeit jede Aussicht auf Erfolg bei Wahlen verlören. Es wäre eine große Herausforderung, den Wählern in Deutschland zu erklären, warum sie mit ihrem Steuergeld dafür bezahlen sollten, dass Griechen mit 61 Jahren in den Ruhestand treten, während sie mit 66 Jahren noch arbeiten müssen.

Ökonomische Gegebenheiten und die unterschiedlichen Einstellungen zum Leben in Zentraleuropa und auf griechischen Inseln werden immer wieder Spannungen aufbauen, die ohne die Möglichkeit zur Anpassung von Wechselkursen alle paar Jahre eine neue Schuldenkrise hervorbringen werden. Eine massive Infrastruktur, wie sie im nördlichen Europa vorhanden ist, braucht Griechenland nicht. Hier sind Schiffe und Häfen, zusammen mit kleinen Flughäfen wichtiger als Autobahnen und ICEs. Ein integriertes Stromnetz in der ganzen Ägäis macht so viel Sinn wie ein Eisenbahntunnel von Athen nach Heraklion.
Dafür gibt es aber ein freundlicheres Klima, weniger Winterstürme und eine längere Vegetationsperiode. Das Meer sorgt über das ganze Jahr für frische und gesunde Nahrung.

Insgesamt ergeben sich zwei Möglichkeiten, mit der Schuldenkrise in Griechenland umzugehen: Mit genügend politischem Willen wird man eine Lösung finden, die dem griechischen Staat die Möglichkeit zurück gibt, eine an griechischen Gegebenheiten orientierten Wirtschaftspolitik zu betreiben. Dieser Staat wäre zwar vielleicht etwas schwächer, hätte aber wieder eine eigene Währung. Den Weg dorthin könnten Hilfen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds erleichtern.

Sollte es nicht möglich sein, den notwendigen politischen Willen aufzubringen, wird es einen Versuch geben, das Problem auf die lange Bank zu schieben. Es müsste dann regelmäßig Finanzhilfen an Griechenland geben, und die Schuldenkrise in Griechenland würde regelmäßig wiederkehren. Die Europäische Union würde insgesamt vor sich hin siechen. Aus diesem Grunde kann man die Wetten der Finanzmärkte gegen griechische Staatsschulden auch so verstehen, dass Banken und Hedge-Fonds den Mitgliedern und Institutionen der EU zutrauen, notwendige Entscheidungen zu treffen.
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Neue Strategien europäischer Reiseveranstalter

Langsam zeichnet sich eine Neustrukturierung am deutschen und europäischen Pauschalreise-Markt ab:

  • TUI übergibt den Kurzstreckentei von TUIfly an Air Berlin, behält aber die Langstreckendienste, die dem Marktführer in Deutschland eine Zugangskontrolle zu bestimmten Reisezielen erlauben.
  • TUI versucht laut Financial Times vom 20.April den Deutschen Arm wieder von Deutschland aus zu steuern.
  • Mit dem sich abzeichnenden Kapitalbedarf bei Arcandor stellt sich auch die Frage nach dem Schicksal der der Arcandor-Tochter Thomas Cook. Es wäre durchaus vorstellbar, daß Arcandor entweder Anteile an Thomas Cook verkaufen muß, oder daß auch hier die Integration der deutschen Operation in die britische Thomas Cook PLC in Frage gestellt wird. Das könnte auch ein ploitischer Preis sein, den eine zunehmend wirtschafts-nationalistische Berliner Regierung für eine Staatsintervention zugunsten von Arcandor fordern könnte.

Beide Veranstalter würden dadurch an Größe verlieren. Dies würde sich weniger beim Einkauf und bei der Produktentwiklung auswirken, die ja immer an nationale Vorlieben gebunden blieb. Aber bei EDV und bei Buchungssystemen würde möglicherweise die Stellung unabhängiger Dienstleister gestärkt. Diese Funktionen könnten weiterhin im gesamten europäischen Markt agieren. Es wäre sogar über modulare Platformen möglich, den Veranstaltern weiterhin eine Kontrolle des Vertiebes über „eigene“ Rservierungssysteme zu ermöglichen.

Finanzkrise und Airline Industrie

Fluggesellschaften sind abhängig vom Finanzmarkt
Fluggesellschaften haben einen hohen Anteil an Kapitalkosten. Der Verlauf der Finanzkrise hat sicherlich Auswirkungen auf die Kapitalkosten der Branche, sei es in Form von Leasing-Raten oder Zinsen.
Ein anderer Aspekt der Finanzkrise, die Preise für den US-Dollars und das Öl, hat weitere Auswirkungen auf die Airline-Industrie. Ein fallender Ölpreis reduziert die Kosten, und ein fallender Euro stärkt die Position europäischer Fluggesellschaften im Dollar-Raum.
Der wichtigste Aspekt ist aber, daß die Airline-Industrie auf die Finanzwelt angewiesen ist, um sich gegen Schwankungen des Ölpreises und der Wechselkurse von Währungen anzusichern. Dazu wird ein System aus Derivaten (Futures, Optionen und andere Zertifikate) genutzt, dessen Existenz jetzt in Frage steht.

Vorgeschichte
Die internationale Finanzkrise wird in der Diskussion in Deutschland so behandelt, als sei die einzige Ursache die Krise des US-Immobilienmarktes und der damit verbundene Zusammenbruch des Marktes für Hypotheken und Papieren, die ihren Wert aus Forderungen an Hauseigentümer in den USA herleiten.
Die Hypotheken-Krise in USA ist jetzt über ein Jahr alt. Sie hat zwar zu Milliardenverlusten bei Banken und Verischerungen, und auch zu einer massiven Schwächung der Bilanzen in der Finanzindustrie geführt, aber nicht zu einem Zusammenbruch des Systemes.

Zusammenbruch von Lehman Brothers und AIG
Was ist genau passiert? Lehman Brothers ist an jenem 15.September nicht gescheitert, weil nach einer Abschreibung auf Hypotheken-Kredite oder deren Derivate die Eigenkapitalquote zu gering geworden wäre. Das wäre zum Quartalsende geschehen, und eine Lösung eines solchen Problems hätte bis zum Quartalsende Zeit gehabt.
Vielmehr war eine Zahlung auf ein Absicherungesgeschäft fällig geworden, und Lehman hatte weder das Cash, diese Zahlung zu leisten, noch die Fähigkeit, sich dieses Geld bei anderen Banken zu leihen (Dies wegen der geschwächten Bilanz und undurchsichtiger Risikopositionen). Ich vermute, daß es sich um eine Wette gegen den Dollar gehandelt hat. Dies entnehme ich der Information, daß zu diesem Zeitpunkt eine Zahlung in Höhe von ca 350 Mio Euro von der KFW an Lehmanns fällig geworden war, und auch bezahlt wurde, deren Ursprung nach Presseberichten eine Währungsspekulation war.
Aber auch der Rückgang des Ölpreises innerhalb von 6 Wochen um ca 50 Dollar pro Faß könnte der Hintergrund für die fällige Zahlung gewesen sein.

Risiko-Management ohne Glaubwürdigkeit?
Risikoabsicherungen haben nur dann einen Wert, wenn sie glaubwürdig sind. Wenn nun, wie bei Lehman, ein großer Player auf diesem Markt seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, und ein noch größerer Marktteilnehmer, nämlich AIG, dadurch so in Mitleidenschaft gezogen wird, daß er nur noch durch einen massiven staatlichen Eingriff am Leben gehalten werden kann, dann ist das System der Risikoabsicherung nicht mehr funktionsfähig.

Interbankenmarkt funktioniert nicht mehr
Das Handelsblatt berichtet am 01.10.2008:

    Wie heikel die Lage tatsächlich ist, zeigen die täglich von der EZB bekanntgegebenen Zahlen. So parkten die Banken über Nacht bei der EZB 44,4 Mrd. Euro – so viel wie noch niemals zuvor seit der Einführung des Euros vor fast zehn Jahren. Dabei handelte es sich um Geld, das die Banken nicht benötigten, es aber auch nicht einer anderen Bank leihen wollten. In normalen Zeiten belief sich das Volumen hier meist auf einen unteren dreistelligen Millionenbetrag.

    Auch die Zinssätze für Übernachtkredite in Dollar sprangen auf Rekordhöhe. Der Zinssatz, den Banken sich untereinander für diese Kredite berechnen (Libor), kletterte in London auf ein Allzeithoch von 6,88 Prozent. Die EZB versuchte gegenzusteuern und schrieb einen Dollar-Tender mit einer Laufzeit von einem Tag über 30 Mrd. Dollar aus. Ergebnis: Er war hoffnungslos überboten und wurde zum Rekord-Zinssatz von elf Prozent zugeteilt. Wegen der extremen Knappheit von Dollar-Liquidität versuchten ausländische Banken, sich Dollar am Devisenmarkt zu besorgen. Der Kurs des Euros sackte deswegen um vier Cent ab.

Quelle:Rettet den Rettungsplan! (bei Handelsblatt.com am 01.10.2008 veröffentlicht)
Dieser Abschnitt enthält drei Informationen:

  1. Die Banken schätzen selbst Kredite über Nacht an Ihre Partnerbanken als risikoreich ein.
  2. Liquidität in Euro ist genügend vorhanden
  3. Liquidität in Dollar ist äußerst knapp

Daß die Banken sich gegenseitig als hohe Risiken einschätzen, hat vermutlich weniger damit zu tun, daß sich die Akteure gegenseitg nicht mehr trauen. Diese Menschen arbeiten zum Teil schon seit Jahrzehnten zusammen, und sie wissen, daß sie aus diesem Strudel nur heil herauskommen können, wenn sie zusammenarbeiten und sich nicht gegenseitig belügen. Vielmehr ist das Problem, daß sie ihre eigene reale Risikoposition nicht mehr kennen, und wissen, daß es ihren Partnern genauso geht. Die Risikopositionen sind mit komplizierten Hedges genau eingestellt worden, mit Verpflichtungen, die Eingegangen wurden, und mit Versprechungen, die entgegengenommen wurden. Wenn nun nicht mehr klar ist, daß der Partner die Versprechungen, die er in Form von Zertifikaten gemacht hat, einhalten kann, ist auch die eigene Fähigkeit, eingegangene Verpflichtungen zu bedienen, in Frage gestellt. Und umgekehrt. Daher der hohe Libor.
Die Tatsache, daß Liquidität in Euro so reichlich vorhanden ist, daß die Banken mehr als 44 Milliarden Euro bei der EZB über Nacht quasi zinslos parken, zeigt zunächst einmal, daß die EZB das Liquiditätsproblem der Banken nicht lösen kann, nicht mit mehr Liquidität, und auch nicht mit niedrigeren Zinsen, denn im Prinzip ist ja Liquidität zum Zinssatz von Null vorhanden.
Aber aus Punkt 2 und 3 schreit die Frage, warum die Banken nicht zu 6% Euros leihen, dafür Dollars kaufen und diese für 11% verleihen. Meine Vermutung ist: Der hohe Bedarf an Dollar entsteht durch absehbare fällige Zahlungen auf Wetten auf einen fallenden Dollar und steigende Ölpreise. Wenn die betroffenen Banken jetzt Dollars kaufen, wird das den Preis des Dollars weiter steigen lassen, und damit auch die fälligen Zahlungen und somit die Menge der benötigten Dollar weiter erhöhen.
Was die EZB tun könnte, wäre dem Markt weitere Dollars – so sie diese hat – zur Verfügung zu stellen, oder sich bei der FED Dollars leihen, um diese dann den Banken im Euroraum zur Verfügung zu stellen. Dies würde aber das Eingeständinis beinhalten, daß dies nicht eine Krise ist, die alleine durch die Gier der Amerikaner verschuldet wurde und deren unschuldige Opfer die Europäer sind. Und dieses Eingeständnis wird der EZB und den hinter ihr stehenden Regierungen schwerfallen.

Zwischenbilanz
Das gesagte in ein paar dürren Worten zusammengefaßt: Wir haben eine Situation mit einem unerwartet steigenden Dollarkurs, unter Erwartungen liegendem niedrigen und vielleicht noch (in Dollar) sinkenden Ölpreis, zusammen mit einem drohenden Kollaps der Risiko-Management-Systeme in den internationalen Finanzmärkten.

Das große Problem für die Airline Industrie ist der Zusammenbruch des Risiko-Managements
Das Risiko-Management ist auch bei den Fluggesellschaften von zentraler Bedeutung. Sie sind weltweit, oder jedenfalls in vielen Regionen tätig, und somit von Schwankungen in Wechelkursen, Rohstoffpreisen, Zinsniveaus und der allgemeinen wirschaftlichen Situation in den Ländern, die sie bedienen, abhängig.
Als kapitalintensive Industrie müssen sie aber langfristige Investitionsentscheidungen treffen. Ein heute gebautes Flugzeug fliegt 30 Jahre, und beinhaltes über diesen Zeitraum eine Wette auf das Zinsniveau, den Treibstoffpreis, die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung, die Reisefreudigkeit der Urlauber etc.
Diese Risiken werden von den Airlines mit verschiedenen Methoden an andere Marktteilnehmer weitergereicht. Dazu gehören Leasingverträge für Flugzeüge, Futures und Optionen und andere Zertifikate auf Kerosin und Währungen. Auf diese Weise erreichen die Airlines, daß sie sich auf ihr eigentliches Geschäft, nämlich die Beförderung von Passagieren und/oder Fracht mit Flugzeugen konzentrieren können.
Wenn nun ein Partner im Risiko-Management wegbricht, liegt dieses Risiko wieder – und diesmal unerwartet – bei der Airline. Wenn also die Leasinggesellschft, die der Airline das Zinsrisiko für ihre Flugzeuge abgenommen hat, zusammenbrechen würde, stände die Airline ohne die betreffenden Flugzeuge da, oder müßte diese möglicherweise aus der Konkursmasse der Leasingesellchaft kaufen und selbst – zu den aktuellen Bedingungen – finanzieren.
Ähnliche Probleme können entstehen, wenn eine Airline Finanzierungen hat, die an die Bedingung einer Absicherung gegen einen Zahlungsausfall geknüpft ist, und der Partner für diesen Credit Default Swap (CDS) ausfällt.
Auf diese Weise kann auch eine gesunde Airline, die nach allen Regeln der Kunst gehandelt hat, unerwartete Probleme bekommen.

Fallender Ölpreis
Der fallende Ölpreis ist für alle Fluggesellschaften gut, und spült ihnen unerwartete zusätzliche Gewinne in die Kassen. Es wird sich aber auf Dauer ein Druck entwickeln, die hohen Treibstoffzuschläge zu reduzieren. Möglicherweise werden manche Fluggesellschaften die Treibstoffzuschläge senken, aber die Basistarife erhöhen. Damit wird die Preisstruktur auch an die sinkenden variablen Kosten und die steigenden Fixkosten (z.B. Finanzierungskosten) angepaßt.

Steigender Dollar
Wie sich ein steigender Dollar oder ein einbrechender Euro auf einzelne Fluggesellschaften auswirken wird, ist weniger klar. Wenn eine Fluggesellschaft ihre Einnahmen hauptsächlich in Euro hat, was für die meisten regional in Europa agierenden Fluggesellschaften wie Ryanair und Air Berlin, aber auch für die Tourismusflieger wie Condor und Tuifly zutreffen dürfte, ist entscheidend, wieviele ihrer Zahlungsverpflichtungen in Euro, und wieviele in Dollar zu leisten sind.
Das hat wieder damit zu tun, in welcher Währung die Finanzierungsverträge für die Flugzeuge abgeschlossen sind, aber auch in welcher Währung für Ersatzteile und Wartung bezahlt werden muß. Wenn eine Gesellschaft ihre Hausaufgaben gemacht hat, hat sie die Währung der Zahlungsverpflichtungen aus der Finanzierung an die Währung ihrer Einnahmen angepaßt. Unter dem Vorbehalt, daß ihre Finanzierungspartner sicher stehen, hat sie dann keine Schwierigkeiten.

Auswirkungen auf die Nachfrage nach Flugleistungen
Die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise auf die Nachfrage nach Flugleistungen könnte für verschiedene Marktsegmente durchaus verschieden sein:

  • Geschäftsreisen:
    Der fallende Euro-Kurs könnte die Nachfrage nach Geschäftsreisen stimulieren, da der Export von Investitionsgütern aus der Euro-Zone preisgünstiger wird. Und es gibt durchaus Exportmärkte, die in Dollar bezahlen und über die nötige Liquidität für Investitionen verfügen. Beispiele sind Länder des Mittleren Ostens, aber auch China und Indien. In diesen Ländern bleibt der Bedarf nach energiesparenden Investitionen hoch, selbst wenn der Ölpreis bis auf 80 Dollar pro Faß fallen sollte.
  • Urlaubsreisen:
    Wenn sich die Panik der Finanzmärkte auf den Arbeitsmarkt und die Stimmung der Konsumenten niederschlägt, werden viele sicherlich beim Urlaub sparen. Dies heißt aber nicht zwingend, daß sie auf eine Urlaubsreise verzichten. Aus einem 5-Sterne-Hotel könnte ein 4-Sterne-Hotel werden, und aus einer zweiwöchigen Urlaubsreise könnte eine Reisedauer von 10 Tagen werden. In beiden Fällen bliebe die Zahl der gebuchten Flüge gleich. Allerdings würde ein schwacher Euro vermutlich den Anteil der Fernreisen in den Dollar-Raum reduzieren und Reiseziele im Euro-Raum attraktiver machen. Im Gegenzug wäre aber auch ein Wachstum bei Urlaubsreisen aus dem asiatischen Raum nach Europa denkbar, wenn dieses nicht durch die Visapolitik der Schengen-Staaten blockiert wird.
  • Wochenend-Trips:
    Wochenend-Trips, die oft Shopping-Trips sind, werden in einem durch Rezessionsangst geprägten Klima sicherlich abnehmen. Man kann leicht darauf verzichten, und am Wochenende statt in Mallorca auch zuhause joggen oder schwimmen gehen, statt in Paris oder London auch in Frankfurt oder Paderborn einkaufen.

Zusammenfassung
Die Fluggesellschften sind insbesondere beim Risiko-Management und bei der Finanzierung der Flugzeuge auf die Finanz-Industrie angewiesen. Die Auswirkungen eines Zusammenbruchs der Riskio-Management-Systeme der Finanzindustrie hätte Folgen, die für die einzelnen Airlines durchaus unterschiedlich wären, und die im einzelnen nicht kalkulierbar sind.

Ein mit der Finanzkrise einhergehender Konjunktur-Einbruch wird sich besonders auf das Segment der Freizeitflieger auswirken, und hier wiederum besonders auf Anbieter von sehr preisgünstigen Flügen, die viele Kunden bisher eher aus einer Laune heraus und nicht unbedingt wegen eines wirklichen Bedarfes gebucht haben.



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