Zwei Panik-Tage und die Folgen

Am 6. Mai haben die internationalen Finanzmärkte eine kleine Geisterbahn-Fahrt unternommen. Die Kurse des Dow Jones Index sind in wenigen Minuten um gut 1000 Punkte gesunken.
Aktien von Procter&Gamble, deren Anleihen teilweise am Markt niedriger verzinst werden als US-Staatspapiere, sanken für einige Augenblicke auf 1 Cent. Dasselbe gilt für das ETF iShares Russel 1000 Growth, der die großen Wachstumswerte in den USA abbildet.
Nach etwa einer halben Stunde hatten sich die Kurse wieder einigermaßen erholt, obwohl der Verlust immer noch bei 300 Punkten lag.
Laut FAZ vom 15.Mai – Banken laden Staatsanleihen bei der EZB ab – waren am 6. Mai sogar französische Staatsanleihen nur noch schwer verkäuflich. Kein Wunder, daß Sarkozy alarmiert war.

Zunächst wurde in den Medien verbreitet, die Panik sei durch einen Eingabefehler eines Händlers entstanden, der einen Verkaufsauftrag von 16 Milliarden Dollar statt 16 Millionen Dollar eingegeben habe. Aber dann wurden alle Transaktionen in der fraglichen Stunde einzeln überprüft, und es wurde weder eine Fehleingabe noch eine Fehlfunktion des Systems gefunden. Spätestens jetzt, vermutlich jedoch schon etwas früher, begann die zweite Panik: Die Panik der Politiker.

Am Freitagmorgen wurde der deutsche Anteil des ursprünglichen Griechenlandpaketes im Bundestag mit unglaublicher Geschwindigkeit gelesen, verstanden und genehmigt. Mir ist nicht ganz klar, ob Merkel bereits wußte was am Freitagabend in Brüssel geschehen würde. Vielleicht ist sie in einen Hinterhalt gelaufen. Vielleicht hatte sie es nur für besser gehalten, ihr Wissen bei der Parlamentssitzung noch für sich zu behalten.

Merkel flog abends nach Brüssel, um das Paket im EU-Rahmen formal zu verabschieden.

Schon am Freitag um die Mittagszeit war jedoch Sarkozy nach Brüssel gereist und hatte Einzelgespräche mit Barroso und anderen geführt. Am Abend wurde dann ein zusätzlicher Rettungsfond für alle Euro-Staaten in Höhe von 60 Milliarden Euro beschlossen, der dann in den sechs Stunden zwischen der Schließung der Wahllokale in Nordrhein-Westfalen am Sonntagabend um 18 Uhr und der Öffnung der Börsen in Asien am Montagmorgen auf 750 Milliarden Euro angewachsen ist.
Hinzu kam der Beschluss der Europäischen Zentralbank, bei Bedarf Staatspapiere der Euro-Regierungen mit frisch gedrucktem Geld aufzukaufen und die Zusage der Federal Reserve Bank aus Washington, der EZB eine unbegrenzte Kreditlinie in Dollar zu gewähren. Diese beiden Maßnahmen waren – im Gegensatz zu avisierten 750 Milliarden Euro – keine pure Absichtserklärung, sondern eine sofort wirksame Intervention. Damit beruhigten sich die internationalen Märkte zumindest für ein paar Tage.

Vermutlich hatte das Versprechen der nicht vorhandenen 750 Milliarden Euro auch gar nicht den Zweck, die Märkte zu beeindrucken. Vielmehr sollte politisch überdeckt werden, daß der Euro zum zweiten Male von der US-Notenbank mit hunderten von frisch gedruckten Dollar-Milliarden gerettet wurde.
Diese zweite Rettungsaktion für den Euro war notwendig geworden, nicht weil Griechenland, Portugal oder Spanien ihre Glaubwürdigkeit verloren hätten. Nein, die Berliner Regierung hatte ihre Glaubwürdigkeit in Bezug auf den Euro durch wochenlanges lavieren zerstört. Es ist möglich geblieben, das Verhalten Merkels und Schäubles so zu interpretieren, daß sie nach dem Motto „Lieber ein Ende mit Schrecken, als Schrecken ohne Ende“ den Euro an die Wand fahren lassen wollten. Danach hätten sie versuchen können, mit einer Neuauflage einer Deutschen Mark die EU wirtschaftlich allein zu beherrschen.

Unter diesem Blickwinkel ist es möglich, das Geschehen wie folgt zu interpretieren: Sarkozy, Barroso, Trichet und Obama sind zu dem Schluss gekommen wären, daß Merkel den Euro nicht verteidigen will. Dann wäre die Intervention der EZB und der FED nichts anderes als eine SMS an Merkel:
„Dear Angie, if you want to leave, go. But you won’t remain the biggest girl on the block, because we have the will and the means to make the Euro survive even without you. Greetings from Nicolas, Barak, Manuel and Jean-Claude”

(Kein Wunder also auch, daß Roland Koch, in dessen Land die EZB ihre Arbeit verrichtet, sauer auf Merkel ist. Denn der Sitz der EZB ist für Frankfurt und Hessen enorm wichtig)

Merkels Theaterdonner

Beim EU-Gipfel zur Schuldenkrise Griechenlands und weiterer EU-Staaten wurden in der vergangenen Woche folgende Beschlüsse gefasst:

  1. Banken können Staatspapiere auch weiterhin bei der Europäischen Zentralbank (EZB) beleihen, auch wenn die Papiere kein A-Rating mehr haben. Die Regelung ist zeitlich nicht mehr befristet. Die EZB behält sich aber bei der Beleihung von Papieren mit schwachem Rating einen Abschlag vor.
  2. Sollte Griechenland trotz der Regelung, daß Staatspapiere auch ohne A-Rating von der EZB beliehen werden, nicht genügend Schulden machen können, werden IWF und gesündere EU-Staaten die notwendigen Mittel bereitstellen.
  3. Es wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die prüft, wie der institutionelle Rahmen der Euro-Gruppe gestärkt werden kann.
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Was war da Theaterdonner?
Wenn Merkel tatsächlich Griechenland gezwungen hätte, sich für zahlungsunfähig zu erklären und beim IWF um Hilfe zu bitten, wäre das für die Berliner Regierung sehr teuer geworden.
Merkels Regierung ist stolze Alleineigentümerin der Hypo-Real-Estate Bank(HRE). Diese Bank hat in ihren Büchern um die 10 Milliarden Euro an griechischen Staatsanleihen, die sicherlich bei der EZB zu Cash gemacht wurden. Diese Anleihen hätten durch einen Staatsbankrott Griechenlands jedes Rating verloren. Dadurch hätten sie selbst nach der aktuellen Regelung bei der EZB nicht mehr als Sicherheit getaugt. Die HRE hätte also sofort ca. 10 Milliarden Euro an die EZB überweisen müssen. Geld, das diese Bank nicht hat, und vom alleinigen Eigentümer eingebracht werden müsste.
Gleichzeitig hätte die HRE diese Anleihen abschreiben müssen. Dadurch wäre die Kernkapitalquote weiter gesunken, und es wäre wahrscheinlich dafür eine weitere Milliardenzahlung Merkels an die HRE notwendig geworden.
Bei der Commerzbank liegen die Dinge nicht viel anders. Diese Bank hat auch mehrere Milliarden griechischer Staatsanleihen in den Büchern, und hätte sicherlich auch keinen Spaß daran, plötzlich mehr als 5 Milliarden Euro abschreiben zu müssen, und gleichzeitig einen ähnlichen Betrag an die EZB zahlen zu müssen.

Warum das ganze Drama?
Die zeitlich und mengenmäßig unbegrenzte Beleihung Staatsanleihen ohne A-Rating sollte in den Hintergrund gedrängt werden. Warum? Es ist ein eleganter Weg, das Bail-Out Verbot in den Euroverträgen zu umgehen. Wenn Banken zeitlich unbegrenzt und Mengenmäßig unbegrenzt Staatspapiere Griechenlands bei der EZB gegen einen geringen Zinssatz zu Cash machen können, warum sollten Sie dann nicht mit 5 Prozent Zins ausgestattete griechische Staatspapiere kaufen?
Die unbegrenzte Beleihung von Staatspapieren durch die EZB erlaubt den Regierungen der Euro-Zone, über Schulden die Geldmenge im Euro-Raum massiv zu erhöhen. Es sollte aber allen Beteiligten klargemacht werden, daß nicht geduldet werden würde, wenn ein Land diese Möglichkeit zu sehr ausnutzt.
Die Aufmerksamkeit der internationalen Kapitalmärkte sollte sich möglichst auf die Nachrichten Nummer 2 und 3 richten. Es sollte möglichst wenig darüber geredet werden, daß die EZB die Kontrolle über die Geldmenge im Euro-Raum teilweise an die beteiligten Regierungen abgegeben hat.
Und Merkel wollte sowohl dem deutschen Verfassungsgericht als auch der deutschen Öffentlchkeit klarmachen, daß sie für einen stabilen Euro mit Zähnen und Klauen kämpft.

Am Ende doch ein Lob
Sicherlich hat sich positiv auf den Euro ausgewirkt, daß Merkel, Sarkozy, Barroso, Trichet und Papandreu perfekt zusammen agiert haben. Sie haben die notwendige Message gesendet, und es sind zwei wichtige Entscheidungen gefallen:
Die Strukturen hinter dem Euro sollen gestärkt werden, und die Euro-Länder versuchen in der Schuldenkrise zusammenzustehen.

Kopenhagen und die neue chinesische Macht

Treibhausgase und mehr
Bei der Klimakonferenz in Kopenhagen ging es vordergründig um Treibhausgase und das Klima auf der Erde. In dieser Hinsicht war das Ergebnis mager und nichtssagend. Dennoch wird die Konferenz in die Geschichtsbücher eingehen. Warum?

China agiert als dominierende Supermacht

In Kopenhagen hat sich China als neue Supermacht etabliert. Insbesondere Politiker der EU haben vor Wut geschnaubt, konnten aber nichts dagegen setzen.

Keine Kontrolle der chinesischen Wirtschaft von aussen
Im Detail hat sich China geweigert, wem auch immer auf der Erde ein Recht zuzugestehen, einen eigenen Blick ins Innere der chinesischen Wirtschaft zu werfen – im konkreten Fall auf seine CO2-Emissionen.
Heißt das nun, daß China versuchen will, heimlich Kohle oder Erdöl zu verbrennen? Ich glaube nicht, denn die Chinesen haben das nicht nötig. Niemand kann sie daran hindern, weder mit militärischen noch mit ökonomischen Mitteln.

Beginn bei der Frankfurter Buchmesse
Warum dann dieses harte Nein? Die Chinesen haben hier einen Pflock eingeschlagen. Begonnen damit haben sie bei der Frankfurter Buchmesse, wo sie schon klargemacht haben, daß sie selbst bestimmen, worüber sie mit den Europäern reden, und wo sie es den Europäern überlassen, folgenlos über etwas zu schwätzen. Damals ging es um Menschenrechte, Meinungsfreiheit etc. deren plakative Deklamation China den Deutschen überlässt. In diesem Punkt war es einfach für die Chinesen, zu wissen, daß sie nichts zu befürchten haben, denn sie wissen, woher die Zensurtechnologie in Iran kommt, und sie sind sich auch der Bedeutung des Zensursula-Projektes der ersten Regierung Merkel bewusst.

Keine Kontrolle bei Klimagasen
Der nächste Schritt war die Mitteilung der Chinesen, daß sie selbst bestimmen, welche Informationen über ihre Wirtschaftsleistung sie anderen zugänglich machen. Damit hat sich ein weltweites System zum Handel mit Luftverschmutzungsrechten erübrigt.

Keine Kontrolle von Finanzdaten
Aber die Bedeutung geht weiter: Merkels Traum von einer weltweiten Steuer auf Finanztransaktionen ist damit auch ausgeträumt. Denn eine solche Steuer würde voraussetzen, daß die Chinesen Merkel und ihres gleichen detaillierten Einblick in die chinesische Finanzwirtschaft geben. Das muss für China völlig inakzeptabel sein, da es seinen Bestrebungen widerspricht, das Maximum für seine vielen Dollars von zweifelhaftem Wert zu bekommen. Diese Anfrage Merkals hat sich somit erledigt, bevor sie explizit an China harangetragen wurde.

Basis der chinesischen Macht
Es fragt sich nun: Warum konnten Merkel und ihre EU-Kollegen den Chinesen nicht einmal ein müdes Lächeln abringen? Woher kommt die chinesische Macht?

Nicht Gewehrläufe, sondern Computermaus
Und es stellt sich heraus, die chinesische Macht kommt zumindes in der jetzigen Situation nicht aus den Gewehrläufen. Militärisch kann China im Moment weder Europa noch USA bedrohen.
Aber die Chinesen könnten, wenn sie es für richtig halten, mit ein paar wenigen Mausklicks, oder sogar durch das Unterlassen einiger wenigen Mausklicks sowohl Europa als auch USA in ein Chaos stürzen. Sie müssten nur aufzuhören US-Staatsanleihen zu kaufen, oder einen Bruchteil von den Anleihen, die sie bereits gekauft haben, auf den Markt werfen. Innwehalb weniger Tage wäre das westliche Finanzsystem komplett zusammengebrochen. Es würde nicht mal mehr helfen, wenn die Notenbanken Anleihen ihrer Regierungen mit frisch gedrucktem Geld kauften, und die Regierungen per Gesetz das Wort Staatsbankrott verbieten würden.

Den Rest erledigt dann Europa selbst

Die Folgen, mit denen zumindest die deutsche Regierung für einen solchen Fall rechnet, sind innere Unruhen, Massenverhaftungen, eventuell Pogrome gegen Ausländer. Kurz gesagt, die Chinesen haben es nicht nötig, Europäern oder Amerikanern Gewalt anzudrohen. Es genügte schon, keine amerikanischen Staatsanleihen mehr zu kaufen, was ihr perfektes Recht wäre, und schon würden Europäer und möglicherweise auch Amerikaner ganz von alleine Gewalt gegen sich selbst anwenden.

Chinesen agieren immer noch vorsichtig
Die Chinesen sind sich dieser Machtposition bewusst, und sie haben diese in Kopenhagen zum ersten Male, wenn auch nur andeutungsweise, ausgespielt. Kein Wunder, daß Merkel wütend (und hilflos) war.
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