Angela Merkel – die Krisensurferin

Die Berliner Kanzlerin Angela Merkel hat die Technik des Krisensurfens fast bis zur Perfektion entwickelt. Sie hat sich mit dieser Technik den Vorsitz der CDU gesichert, eine sehr weitgehende politische Umorientierung der CDU durchgesetzt und sie hat im Rahmen der Krise um das Reaktorunglück in Fukushima fast unbemerkt die Renationalisierung der Energiepolitik in Deutschland durchgesetzt. In der aktuellen Krise um den Euro zeigt sie erneut ihre Meisterschaft in der Disziplin des Krisensurfens. Dieser Artikel möchte dieser Technik Merkels soweit möglich auf den Grund gehen.

Was ist eine Krise?
Eine Krise ist ein Prozess, in dem sich Spannungen entladen, die sich in einem System Schritt für Schritt aufgebaut haben. Bei einer Krise können starke Energien freigesetzt werden. Diese kann destruktiv wirksam werden, bis hin zur Zerstörung des Systems, oder auch konstruktiv zu einer Anpassung und Verbesserung des betreffenden Systems genutzt werden.
Es ist nicht einfach, die explosive Energie einer Krise so zu kanalisieren, so dass man damit ein im Voraus definiertes Ziel durchsetzen kann. Um das Ergebnis einer Krise wirksam zu beeinflussen, bedarf es eines guten Verständnisses des Ablaufes einer Krise.

Die Anatomie einer Krise
Man kann meines Erachtens fast jede Krise in drei Phasen aufgliedern:

  1. Es wird offenbar, dass ein gravierendes und emotional hoch aufladbares Problem vorhanden ist.
  2. Während sich die Situation weiter mit Energie auflädt, wird die Krise definiert, diskutiert und in einem sachlichen und emotionalen Rahmen verankert.
  3. Die aufgestaute Energie wird frei und verändert oder zerstört das betreffende System.

Der Krisensurfer
Das Ziel des Krisensurfers ist es nun nicht nur unversehrt aus dieser Krise hervorzugehen, sondern die in der Krise frei werdende Energie zu nutzen um Ziele durchzusetzen, die unter normalen Bedingungen unerreichbar wären. Dazu sind zwei Fähigkeiten notwendig. Der Krisensurfer muss:

  1. sein Ziel kennen
  2. in der Lage sein die Energie einer Krise zu fokussieren.

Wenn Sie Ihre Ziele kennen und eine Krise nutzen möchten, kommt es auf zwei Dinge an: Sie müssen den Rahmen, in dem die Krise gesehen wird, maßgeblich beeinflusse, und Sie müssen die Eskalation der Krise unauffällig und sorgfältig managen.

Der Rahmen einer Krise
Ich habe als Beispiel die aktuelle Diskussion um den spanischen Aspekt der aktuellen Eurokrise ausgesucht.

Berliner Interpretation der Spanienkrise
Der gegenwärtige Schuldenstand Spaniens in Relation zu seinem Bruttoinlandsprodukt ist kaum höher als die Verschuldung der Berliner Regierung. Jedoch hat Spanien ein hohes laufendes Haushaltsdefizit das durch die hohe Arbeitslosigkeit und automatische Stabilisatoren im Rahmen der aktuelle Rezession bedingt ist. Insgesamt verringert die Rezession die Einnahmen des Staates und führen zu höheren Ausgaben. Angela Merkel hat in einer ähnlichen Situation in Deutschland im Jahre 2009 ein massives Konjunkturprogram, die Abwrackprämie für alte Autos, Kreditgarantien etc. als angemessen erachtet.
Spanien musste jedoch die Staatsausgaben massiv kürzen, nach Berliner Lesart weil es das Vertrauen der Anleger verloren hatte. Dies führte zu einer weiteren Verschärfung der Rezession, zu einer weiteren Verminderung der Steuereinnahmen und zu einem weiteren Anwachsen der Sozialtransfers. Dadurch wurden die Investoren in Staatsanleihen noch nervöser und fragen sich, ob diese Entwicklung in Spanien noch einmal umgekehrt werden kann. Dies ist eine verkürzte Form der Berliner Erzählung über die spanischen Finanzprobleme. Die Darstellung zielt auf die Forderung „Die Spanier haben über Ihre Verhältnisse gelebt und müssen nun die Konsequenzen tragen“.

Abweichende Interpretation vieler Wirtschaftswissenschaftler
Es gibt aber auch noch eine ganz andere Sicht auf die spanische Krise. Diese klingt etwa so: Das Grundproblem für Spanien sind die hohen Zinsen, die für seine Staatsanleihen gefordert werden. Diese Zinsen werden durch die Fundamentaldaten der spanischen Staatsfinanzen nicht gerechtfertigt. Selbst wenn man von einem weiteren Rückgang der spanischen Wirtschaftsleistung und einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgeht, bleiben die Schulden des spanischen Staates bei realistischen Zinsen rückzahlbar. Es ist jedoch aufgrund der hohen Zinsen für Spanien ein Problem entstanden. Es ist aber irreführend, die Zinsdifferenz zwischen spanischen und deutschen Staatsanleihen als Risikoaufschlag zu bezeichnen. Zunächst ist ein Zinssatz von 1,5 Prozent auf deutsche Staatsanleihen mit 10-jähriger Laufzeit bei einer Inflationsrate von über 2 Prozent – und einer von der EZB angestrebten Inflationsrate bei knapp unter zwei Prozent – keineswegs ein angemessener Zinssatz für eine risikolose Forderung, denn auch der risikolose Zinssatz kann nicht ein real negativer Zinssatz sein. Zweitens sind die Wirtschaftsdaten und die projektierte Entwicklung der Staatsschulden in Spanien auch nicht um so viele Welten schlechter als die französischen Vergleichsdaten, daß es gerechtfertigt wäre, von Spanien mehr als das doppelte des französischen Zinssatzes zu fordern.
Was drückt sich dann in der Differenz des spanischen zum deutschen Zinssatzes aus? Eine Erklärung wäre, dass in beide Papiere die Wahrscheinlichkeit eingepreist ist, dass mindestens eins der beiden Länder die Eurozone verlassen könnte. In diesem Fall würde entweder die dann neue spanische Währung abwerten, oder die deutsche Währung aufwerten, oder gegebenenfalls auch beides. Die Preisdifferenz beider Staatsanleihen, könnte über die unterschiedlichen Länderrisiken hinaus dieses nun als möglich erachtete Wechselkursrisiko reflektieren. In diesem Fall resultieren die hohen Spanischen Zinsen nicht aus einem Glaubwürdigkeitsproblem des spanischen Staates, sondern aus einem Glaubwürdigkeitsproblem der Eurozone als Ganzes. Und dieses Glaubwürdigkeitsproblem der Eurozone als Ganzes ergibt sich nicht zuletzt daraus, dass Angela Merkel jedwede Problemlösung für die Schuldenkrise auf europäischer Ebene blockiert hat, so lange und so weitgehend sie das überhaupt nur konnte.

Weitere Aspekte der Eurokrise
Es gibt natürlich noch weitere Lesarten der europäischen Finanzkrise, die beispielsweise die den Salden der Leistungsbilanzen der Euroländer oder auch mit der für Spanien und Irland viel zu lockeren Geldpolitik der EZB in den Jahren zwischen 2000 und 2007 zu tun haben. Für den Zweck dieses Artikels möchte ich mich jedoch auf zwei Erklärungsmuster beschränken.

Implikationen dieser beiden Erklärungsmuster
Ich möchte hier nicht die jeweilige Substanz dieser beiden Erklärungsmuster diskutieren, obwohl vielleicht durchscheint, dass ich die zweite Erklärung für plausibler halte. Vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, wie wichtig für den weiteren Verlauf und das Resultat der Eurokrise ist, welches Erklärungsmuster sich durchsetzt.

Spanien muss sich nach seiner Decke strecken
Würde sich die erste Lesart durchsetzen, könnte man mit Recht an Spanien die Forderung stellen, mehr zu sparen. Da dies aber für die Tragfähigkeit der spanischen Staatsschulden sehr negativ wäre, müsste Spanien eher früher als später Hilfe beim europäischen „Rettungsschirm“ beantragen. Diese Hilfe würde dank Angela Merkel sicherlich mit Bedingungen verknüpft werden, die Spanien in eine Abwärts-Spirale stoßen würde, wie sie bei Griechenland zu beobachten ist. Das Endergebnis wäre Spanien als gescheiterter Staat, der in eine Art Protektorat der Geberländer des sogenannten Rettungsschirmes umgewandelt würde.

Deutschland profitiert von Spekulationen gegen den Euro
Die zweite Lesart würde zu folgender Schlussfolgerung führen: Deutschland zieht aus der andauernden Unsicherheit über die Zukunft des Euro einen unfairen Vorteil, und Spanien erleidet einen unfairen Nachteil. Daher muss es jetzt eine Klärung geben. Entweder muss unmissverständlich und und unumkehrbar klargestellt werden, dass der Euro nach einem mittlerweile kaum zu vermeidenden Zusammenbruch Griechenlands als Ganzes weitergeführt wird. Dies bedeutet ein Bankensystem mit Bankenaufsicht, Regulierung und Einlagensicherung auf Euroebene, sowie eine Erweiterung des Auftrages der EZB dahingehend, dass die Finanzstabilität in der ganzen Eurozone zu einem ausdrücklichen Ziel der EZB erhoben wird. Wenn Deutschland damit nicht einverstanden ist, muss es jetzt den Euro verlassen.

Die Definition des Problems bestimmt die Lösung
Sie sehen daran, wie wichtig für die Entscheidungen auf dem Höhepunkt der Krise sein wird, welche Sichtweise sich bis dahin durchgesetzt hat. Dies gilt sowohl für den Personenkreis, der die Entscheidungen letztlich trifft, als auch indirekt für die jeweilige öffentliche Wahrnehmung in den unterschiedlichen Ländern, die den Handlungsspielraum der Regierungen beeinflusst.

Zeitpunkt der Zuspitzung
Neben der Beeinflussung des Rahmens, in dem die jeweilige Krise definiert und diskutiert wird, ist für einen meisterlichen Krisensurfer entscheidend, den Zeitpunkt der Zuspitzung zu bestimmen. Bei Angela Merkel kann man beobachten, dass vor solchen Zuspitzungen Meldungen oft ohne konkrete Quellenangabe auftauchen, beim Beispiel Spanien etwa, dass die spanischen Banken 100 Milliarden neues Kapital benötigen würden und dass ein Antrag der spanischen Regierung auf Hilfen aus dem ESFS unmittelbar bevorstünden, gepaart mit Aufforderungen aus ihrem Umfeld (in diesem Fall Wolfgang Schäuble und Volker Kauder) dass die spanische Regierung sich dem ESFS unterwerfen solle. Das Vorgehen der Berliner Regierung bei Irland und Portugal war ähnlich. Es weckt eine negative Erwartung und eine Panik, die aus einem Abfluss von Kapital von spanischen Banken einen panischen Run auf diese Banken macht. Wann sieht also jemand wie Angela Merkel den Zeitpunkt für diese Zuspitzung als gekommen?

Kontrolle über die Interpretation der Krise
Zunächst hat das für den Krisensurfer optimale Timing mit seiner Fähigkeit zu tun, das allgemeine Verständnis der Krise zu kontrollieren. Wenn der Krisensurfer entweder das allgemeine Verständnis der Krise genau so durchgesetzt hat, wie er das für nützlich hält, oder wenn er Gefahr läuft, die Kontrolle über die Lesart der Krise zu verlieren, spricht dies für die Zuspitzung der Krise zu diesem Zeitpunkt. Im aktuellen Fall der spanischen Banken war dieser Zeitpunkt gekommen, als Angela Merkel massiv unter Druck gesetzt wurde eine Europäisierung des Bankensystems in der Eurozone zu akzeptieren.

Ausreichende Menge aufgestauter Energie
In der Krise muss sich genug Energie aufgestaut haben. Daraus resultiert ein hoher Stresslevel. Dieser behindert kreatives Denken beim Gegenüber und erleichtert dem Krisensurfer, von Anderen die Zustimmung zu seiner Lösung zu bekommen. Die Beteiligten – mit Ausnahme des hervorragend vorbereiteten Krisensurfers – sind auf das fixiert, was sie vermeiden wollen (z.B. den Zusammenbruch der spanischen Banken), und vergessen darüber die längerfristigen Folgen der vom Krisensurfer als „alternativlos“ präsentierten „Lösung“. Wenn der Stress-Level nicht hoch genug ist, behält die andere Seite ihre uneingeschränkte Denkfähigkeit und wird daher im Zweifelsfall eine ihr aufgedrängte „Lösung“ ablehnen.

Fazit
Das Sprichwort „aus der Krise eine Chance machen“ enthält mehr Wahrheit, als im Allgemeinen angenommen wird. Politiker benutzen Krisen gerne, und verschärfen sie auch mutwillig, um Lösungen durchzusetzen, die ihnen nutzen, auch wenn sie anderen schaden. Dazu benötigen sie insbesondere ein gutes Verständnis über die Mechanismen, die in Krisen wirksam werden und über die Reaktionen von Menschen unter Stress.
Um den eigenen Stress möglichst niedrig zu halten, ist es notwendig, eine Krise frühzeitig zu erkennen. Ein exzellenter Analyseapparat muss akribisch und blitzschnell die verschiedenen Dimensionen der kommenden Krise und deren möglichen Konsequenzen analysieren.
So kann der Krisensurfer die Diskussion über Ursachen und Lösungsmöglichkeiten bestimmen und ein Ergebnis in seinem Sinne wahrscheinlich machen. Danach wird der Krisensurfer zu einem günstigen Zeitpunkt die Krise eskalieren lassen. Er hofft, dadurch von der Gegenseite die Zustimmung zu einer Lösung zu bekommen, die seinen – oft verschleierten -Zielen entgegenkommt.

Erneute Rettung für Griechenland

Die zweite Rettung für Griechenland steht jetzt an. 110 weitere Euro-Milliarden sind ein hoher Preis fürs Nichtstun. Daß Griechenland nicht ohne grundlegende Veränderungen an die Kreditmärkte zurückkehren kann, war schon vor gut einem Jahr bei der Debatte über das erste Paket zur Errettung Griechenlands klar. Ich erinnere nur an die entsprechende Aussage von Joseph Ackermann, für die er so stark von den Mächtigen in Berlin gescholten wurde.
Siehe:Ackermann äußert Zweifel an Griechenland-Rettung (bei Handelsblatt.com am 13.05.2010 veröffentlicht)

Aber welche Veränderungen genau sind denn notwendig? Selbstverständlich und klar ist, dass in Griechenland selbst Verkrustungen aufgebrochen werden müssen, was ja auch massiv geschieht. Aber klar ist auch, daß dieses Problem und auch die zugehörige Lösung nicht allein in Griechenland zu finden sind. Und außerhalb Griechenlands kann ich sehr viel weniger Aktivität und Energie bei der Suche nach einer Lösung erkennen.

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Die Offiziellen in Berlin, Frankfurt, Paris etc. geben indirekt zu dass die jeweilige Rettung für Griechenland nicht nur wegen griechischen Besonderheiten notwendig wird. Sie beschwören vielmehr vier Mal pro Woche die Gefahr einer Ansteckung der Staatsschulden-Krise für Irland, Spanien und Portugal. Belgien und Italien werden zwar seltener erwähnt, aber eine Krise der Staatsfinanzierung dort könnte noch gefährlicher werden. Wenn es sich aber um ein rein griechisches Problem von Korruption und Verkrustungen handeln würde, wären dadurch weder Irland noch Spanien bedroht. Auch die deutschen Exporte nach Griechenland sind gering. Trotzdem sind die Regierungen der EU-Staaten bereit, hunderte von Milliarden Euro auf den Tisch zu legen. Wirklich nur wegen eines Problems, das ausschließlich Griechenland betrifft?

Das Problem hat in Wahrheit drei Köpfe:

  1. Dieser Aspekt darf noch offen diskutiert werden: Die EZB muss eine Geldpolitik für alle Eurostaaten machen. In vielen Fällen sind die Zinsen zu niedrig für die Einen und zu hoch für die Anderen. Und in der Praxis hat sich herausgestellt, daß sich die Geldpolitik der Eurozone in erster Linie nach den Bedürfnissen Deutschlands und Frankreichs ausrichtet. Wenn Berlin niedrige Zinsen braucht, wie in den Jahren 2001-2005, sind die Zinsen in der Eurozone niedrig. Es spiel dann auch keine Rolle, ob der Immobilienmarkt in Spanien oder Irland heiß läuft. Es spielt auch keine Rolle, wenn der griechische Staat die niedrigen Zinsen als eine unerwartete Bonanza betrachtet, und nach dem Motto „Get it, while you can take it“ beherzt zugriff. Diese Argumentationslinie wird in Deutschland oft und gerne benutzt, um die Forderung nach einer Wiedereinführung der D-Mark zu legitimieren.
  2. In Berlin ist das Interesse an gemeinsamer europäischer Politik verloren gegangen. Ein Beispiel ist die Entscheidung im Jahre 2008, daß es keine europäische „Rettung“ für das europäische Bankensystem nach der Lehmann-Pleite geben würde, sondern jeder Staat selber sehen sollte, wo er bleibt. Diese Politik wurde von Angela Merkel und Peer Steinbrück (der seinen Nachbarn mit Kavallerie droht und das auch noch spaßig findet) durchgesetzt.
    Ein weiteres Beispiel ist, daß trotz allem Gerede über eine gemeinsame europäische Energiepolitik in Berlin noch nicht einmal Konsultationen im europäischen Rahmen für notwendig gehalten wurden, bevor Merkel die schnelle Abschaltung der Kernkraftwerke in Deutschland verkündete. Mir scheint, dass die Berliner Regierung zur traditionellen preußischen Außenpolitik des Lavierens zwischen Russland und dem Westen zurückgekehrt ist. Merkel &Co. agieren jedenfalls nicht mehr als Teil des Westens, der sich in EU und NATO institutionell abbildet. Eine kleine Krise scheint Merkel hin und wieder ganz gelegen zu kommen, um bestehende Strukturen von EU und NATO auszuhöhlen. Dafür versucht sie dann informelle Machtstrukturen aufzubauen, die ihr mehr Raum zum manövrieren und intrigieren lassen.
  3. So wurde zwar viel über eine Rettung für Griechenland geredet, und noch mehr Geld dafür ausgegeben. Leider ist ob all dieser Anstrengung keine Zeit mehr dafür geblieben, eine gemeinsame wirtschaftliche Strategie für die ganze EU zu entwickeln, in der auch alle kleine Staaten am Rande ihren Platz haben. Dabei könnte Griechenland sehr viel zu einer sicheren europäischen Energieversorgung beitragen. So wurde zum Beispiel vor der Küste Israels Erdgas gefunden, was eine Suche in griechischen Seegebieten nahe legt. Auch wäre Griechenland ein interessanter Standort für die Gewinnung nachwachsender Energieträger aus dem Meer, z.B. über die Zucht bestimmter Algen, die zu Treibstoff verarbeitet werden können. Stattdessen wurden in „Kerneuropa“ Projekte in Gang gesetzt, mit denen Sonnenenergie aus der Sahara als Elektrizität nach Deutschland geleitet werden soll. Sie soll unter anderem dafür genutzt werden, in Deutschland Bleche in Auto-Türen zu verformen. Ob es nicht sinnvoller wäre, solche Fabriken in Portugal oder auch in Marokko aufzubauen?
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Bereits explodiert: Das vierte Gesicht des Problems

Es gab noch einen vierten Aspekt bei der Inszenierung einer Rettung für Griechenland. Dieser Teil des Problems hat sich jedoch inzwischen von selbst erledigt. Es sollte unter allen Umständen die Doktrin aufrecht erhalten werden, dass Staatschulden, zumindest in Europa, risikolos seien. Regierungen in Paris, Berlin, Rom, Madrid und anderen Städten fürchteten nämlich, daß Anleger ihre Schulden, Vermögenswerte, Einnahmen und Ausgaben einmal unter die Lupe nehmen könnten. Das geschieht mittlerweile, und es ist das Ende des wunderbaren Zeitalters, in dem die Regierungen großer europäischer Staaten nur mit dem Finger schnippen mussten, um quasi unbegrenzte Finanzmittel zu mobilisieren.
Viele Wähler in Deutschland fragen sich bis heute, wo Merkel und Steinbrück die 750 Milliarden Euro versteckt hatten, die sie im Jahr 2008 innerhalb von wenigen Tagen für den sogenannten „Rettungsschirm für Banken“ mobilisiert haben. Diese Wähler wissen nicht, daß dieses Duo damals nur ein paar Zettel genommen und ein paar Zahlen darauf geschrieben habt. Merkel glaubt bis heute, damals super clever gehandelt zu haben. Aber Schäuble wischt sich ab und zu den Angstschweiß von der Stirn, wenn er daran denkt, daß ihm als Finanzminister eines Tages diese Zettel zur Einlösung der darauf gekritzelten Versprechungen präsentiert werden könnten.
Heute ist die Illusion vom Staat ohne finanzielle Grenzen gründlich geplatzt, und die Menschen wissen, dass im Zweifel auch der allergrößte Staat pleitegehen kann. Daran ändert auch die Frage nichts, ob ein Staat zur Vertuschung neue kreative Worthülsen erfindet oder die Wahrheit einfach Wahrheit sein lässt. Daher steht diese Zettel-Methode bei der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands heute nicht mehr so einfach zur Verfügung.

Schlussfolgerung
Eine Rettung für Griechenland wurde notwendig, weil sich der griechische Staat nicht zu einer funktionierende ökonomischen Strategie durchringen konnte, und auch die EU keine gemeinsame ökonomische Strategie entwickelt hat, die jedem einzelnen Mitgliedsland eine Zukunft in Wohlstand ermöglicht. Deshalb kann Griechenland aller Wahrscheinlichkeit nach seine Schulden nicht komplett zurückzahlen und wäre schon jetzt ohne Gelder von EU und IWF ein gescheiterter Staat. Andererseits liegt die Lösung nicht in einer Entschuldung Griechenlands alleine. Ob man bei einer Entschuldung an einen teilweisen Schuldenerlass oder an eine Übernahme eines Teils der Schulden durch die EU als Institution denkt, spielt keine Rolle. Eine von beiden Möglichkeiten wird unausweichlich sein, wie auch Axel Weber bestätigt. Aber keine von beiden Optionen macht Sinn, bevor es ein funktionierendes Geschäftsmodell für eine neue griechische Wirtschaft im Rahmen der EU gibt. Und ein solches Modell wird es nicht geben, bevor nicht in den EU-Rat ein Geist zurückkehrt, der nach gemeinsamen Lösungen für gemeinsame Probleme sucht. Man könnte daraus folgern, daß eine Entschuldung Griechenlands nicht vor einer Ablösung Merkels sinnvoll sein wird.

Preise für Energie und Nahrungsmittel

Explodierende Preise für Energie und Nahrungsmittel, sowie eine Flut von hochriskanten Schuldtiteln, die in den Bilanzen von Banken und Versicherungen als sicher bewertet wurden. So war die Lage im Frühjahr 2008, und so ist sie auch heute. Die Schuldtitel waren damals mit überteuert gekauften Immobilien gesichert. Es stellte sich aber heraus, daß viele Besitzer dieser Immobilien im Lichte der gestiegenen Kosten ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen konnten oder wollten.
Heute sind Staatsschulden das Problem. Trotz aller Rettungsversuche zeichnet sich eine Welle von „Umstrukturierungen“ bei Staatsschulden ab. Manche Staaten werden schlicht nicht alle Schulden bedienen können. In anderen Ländern wird es nicht möglich sein, die erforderlichen Sparmaßnahmen auf demokratischem Wege durchzusetzen.

Spekulanten sollen an allem schuld sein
Die alleinige Schuld an den Problemen wurde 2008 von vielen Politikern dem Finanzsektor zugewiesen, insbesondere bösen Spekulanten und gierigen Bankern. Als Gegenmittel wurde angepriesen, daß die Regierungen mehr Macht über Banken erhalten sollten. So sollten Spekulanten „an die Kandare“ genommen werden. Die Ergebnisse sind bekannt: Bilanzen bis unters Dach gefüllt mit Papieren zahlungsunfähiger Staaten. Diese Papiere werden immer noch zum Nennwert bilanziert. Und anschließend immer neue Milliarden an Garantienversprechen auf Kosten der Steuerzahler, weil so der Tag der Wahrheit noch etwas in die Ferne geschoben werden kann.

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Fundamentale Ursachen der steigenden Rohstoffpreise
Ich möchte Ihnen vorschlagen, die Situation einmal von einer anderen Seite her zu sehen. Wie wäre es, wenn die Explosion der Preise für Energie und Nahrungsmittel, die das Budget der Hauseigentümer sowie Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen gefährden, nicht etwa das finstere Werk bösartiger Spekulanten wäre, sondern einfach nur die Folge einer positiven Entwicklung, die mehreren hundert Millionen Menschen außerhalb der Länder, die sich für „entwickelt“ halten, nun Zugang zu hochwertiger Nahrung, Elektrizität und Mobilität ermöglicht.
Der Bedarf an Erdöl, Getreide, Tierfutter und Bio-Ethanol steigt dadurch natürlich. Da die Produktion von zusätzlicher Energie sowie von mehr und besseren Nahrungsmitteln große Investitionen erfordert, und zumindest bei Erdöl die Kosten der zusätzlich entwickelten Kapazitäten sehr hoch sind, steigen auch die Marktpreise für Benzin, Brot, Zucker, Reis, Soja, Milchprodukte und Fleisch.
Es drängt sich daher die Frage auf, warum mit all dem frischgedruckten Geld der Jahre 2008 bis 2011 nur ausgewählte Bankbilanzen und Staatshaushalte mit einem neuen Anstrich zu versehen wurden, und damit nicht etwa Staudämme, Bewässerungsanlagen und ähnliche Infrastrukturprojekte gebaut wurden, die zusätzliche Produktion von Energie und Nahrungsmitten ermöglichen könnten. Böse Zungen behaupten, dies sei deshalb nicht geschehen, weil dann die Gelder nicht in Europa geblieben wären.

2008 und 2011
Es ist jedoch seit 2008 nicht alles beim alten geblieben. Die Mächtigen aller Länder sind sich der Brisanz des Problems heute sehr viel bewusster als dies noch vor drei Jahren der Fall war. Das zeigt sich daran, daß heute niemand mehr auf die Idee kommt, die Krise künstlich zuzuspitzen. 2008 geschah das noch durch den Georgien-Krieg, der die Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Blockade der Öl- und Gasexporte aus dem kaspischen Raum in sich trug. Dennoch sind die Rohstoffmärkte heute angespannter als vor drei Jahren.
Auch die politischen Folgen der explodierenden Nahrungsmittelpreise sind heute weitreichender als die Hungeraufstände 2008. Es zeichnet sich ein Zusammenbruch der staatlichen Strukturen ab, die nach der Zerschlagung des osmanischen Reiches von den europäischen Mächten in der arabischen Welt installiert worden waren. Und auch in einigen europäischen Ländern beobachten wir gewaltsame Unruhen.

Nahrungsmittel-Energie Preisspirale
Der wiederholte parallele Anstieg der Weltmarktpreise für Energie und Nahrungsmittel ist nicht zufällig. Vielmehr ergibt sich folgendes Bild: Nahrungsmittel steigen, weil der Wohlstand weltweit breiter verteilt wird. Mehr Menschen gute Ernährung und insbesondere auch mehr Fleischmahlzeiten erlauben können. Gleichzeitig steigt auch der Energieverbrauch für Autos, Klimaanlagen, Internet und Waschmaschinen. Das treibt die Energie-Preise. Verschärft wird die Verknappung von Energie in 2011 durch die Tatsachen, dass nach dem Tsunami in Japan sowohl in Deutschland als auch in Japan viele nuklearen Kraftwerke keinen Strom mehr produzieren, und in vielen anderen Ländern ein bisher geplanter Ausbau der Stromerzeugung durch Kernenergie fraglich geworden ist.

Wichtiger ist jedoch die Rückkopplungen zwischen den Preisen für Energie und Nahrungsmittel:

  1. Sobald die Preise für Energie eine gewisse Schwelle erreichen, lohnt sich die Energieerzeugung aus Agrarprodukten. Da aber eine Ausdehnung der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen teuer ist und auch viel Zeit in Anspruch nimmt, reduziert sich das Angebot an Nahrungsmitteln bei steigenden Energiepreisen. Dieser Effekt wird nachhaltig, weil die Investitionen in zusätzliche landwirtschaftliche Kapazitäten plötzlich unrentabel werden, wenn insbesondere die EU-Länder, also zum Beispiel Deutschland, in unregelmäßigen Abständen Produkte aus subventionierter landwirtschaftlicher Überproduktion zu Dumpingpreisen über den Weltmarkt ausschütten und damit jederzeit die Rentabilität teurer zusätzlicher landwirtschaftlicher Flächen bedrohen.
  2. Da viele, und vor allem auch einflussreiche Länder, die Erdöl produzieren, in großem Umfang auf Nahrungsmittel-Importe angewiesen sind, ist der Anreiz für diese Länder groß, die Ölförderung zu reduzieren, um mit dem durch höhere Preise eingenommenen Geld die Verbraucherpreise für Energie und Nahrungsmittel in ihrem Land zu subventionieren und so ihr politisches Überleben zu sichern.
  3. Die daraus resultierenden erneut steigenden Energiepreise verstärken wiederum den Anreiz, Agrarflächen aus der Nahrungsmittel-Produktion abzuziehen und zur Energie-Erzeugung zu verwenden.

Schlussfolgerung
Um die Preisspirale zwischen Energie und Nahrungsmitteln zu durchbrechen, und um den Anspruch möglichst vieler Menschen auf hochwertige Ernährung zu befriedigen, sind weltweit massive Investitionen notwendig. Natürlich werden diese Investitionen dort geschehen, wo die Voraussetzungen für Landwirtschaft optimal sind, also nicht unbedingt in Zentraleuropa. Das wird zu einer weiteren Verschiebung von Macht und relativem Reichtum weg von Europa führen. Dies ist jedoch unausweichlich.

Schuldenkrise in Griechenland – ein Dilemma der EU

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Die Schuldenkrise in Griechenland stellt die Europäische Union und Mitglieder der Euro-Zone vor ein großes Dilemma. Drei Ziele müssen gleichzeitig erfüllt werden:

  1. Die Europäische Union kann nicht zulassen, dass in Europa ein Gebiet entsteht, in dem es keine effektive staatliche Kontrolle mehr gibt. Wer wollte sonst verhindern, dass auf Kreta eine neue Bastion des Bankgeheimnisses entsteht.
  2. Der Maastrichter Vertrag schießt ausdrücklich die Möglichkeit aus, dass eine Finanzkrise eines Euro-Landes durch Zuwendungen oder Garantien der EU gelöst werden kann.
  3. Eine dauerhafte Lösung des Problems wird gebraucht.
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Wenn man die Schuldenkrise in Griechenland einfach ihren Gang nehmen lassen würde, entstünde in der Ägäis ein Gebiet mit einem Staat ohne Macht. Der griechische Staat könnte seine Armee und seine Polizei nicht mehr bezahlen. In früheren Jahrhunderten wäre ein solcher Staat einfach von einem neuen Herrscher übernommen worden. Je nach geopolitischen Gegebenheiten war das früher für Griechenland entweder die Türkei oder Italien, oder beide je zum Teil. Nach modernem Völkerrecht ist dies jedoch nicht möglich.

Für die meisten Regierungen in Europa ist die Versuchung groß, zur Lösung der Schuldenkrise in Griechenland den Vertrag von Maastricht auszuhebeln, und das Problem mit Krediten und Garantien zu lösen. Als Ausgleich würde von Griechenland eine Aufgabe seiner Souveränität verlangt und eine Art Zwangsverwaltung von Brüssel aus eingeführt. Das wäre natürlich ein gefundenes Fressen für alle, die einen europäischen Superstaat anstreben. Gleichzeitig würde die Beschränkung des Staatsdefizits auf 3 Prozent des Bruttoinland-Produktes aufgehoben. Dieses ist jedoch eine der wenigen verbliebenen Schranken, die uns vor den Fantasien der Machthaber in Berlin und anderswo von staatlicher Allmacht bewahren.
Glücklicherweise wäre ein solches Konzept in Griechenland nicht durchsetzbar, und würde auch in Deutschland dazu führen, dass die verantwortlichen politischen Parteien für lange Zeit jede Aussicht auf Erfolg bei Wahlen verlören. Es wäre eine große Herausforderung, den Wählern in Deutschland zu erklären, warum sie mit ihrem Steuergeld dafür bezahlen sollten, dass Griechen mit 61 Jahren in den Ruhestand treten, während sie mit 66 Jahren noch arbeiten müssen.

Ökonomische Gegebenheiten und die unterschiedlichen Einstellungen zum Leben in Zentraleuropa und auf griechischen Inseln werden immer wieder Spannungen aufbauen, die ohne die Möglichkeit zur Anpassung von Wechselkursen alle paar Jahre eine neue Schuldenkrise hervorbringen werden. Eine massive Infrastruktur, wie sie im nördlichen Europa vorhanden ist, braucht Griechenland nicht. Hier sind Schiffe und Häfen, zusammen mit kleinen Flughäfen wichtiger als Autobahnen und ICEs. Ein integriertes Stromnetz in der ganzen Ägäis macht so viel Sinn wie ein Eisenbahntunnel von Athen nach Heraklion.
Dafür gibt es aber ein freundlicheres Klima, weniger Winterstürme und eine längere Vegetationsperiode. Das Meer sorgt über das ganze Jahr für frische und gesunde Nahrung.

Insgesamt ergeben sich zwei Möglichkeiten, mit der Schuldenkrise in Griechenland umzugehen: Mit genügend politischem Willen wird man eine Lösung finden, die dem griechischen Staat die Möglichkeit zurück gibt, eine an griechischen Gegebenheiten orientierten Wirtschaftspolitik zu betreiben. Dieser Staat wäre zwar vielleicht etwas schwächer, hätte aber wieder eine eigene Währung. Den Weg dorthin könnten Hilfen der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds erleichtern.

Sollte es nicht möglich sein, den notwendigen politischen Willen aufzubringen, wird es einen Versuch geben, das Problem auf die lange Bank zu schieben. Es müsste dann regelmäßig Finanzhilfen an Griechenland geben, und die Schuldenkrise in Griechenland würde regelmäßig wiederkehren. Die Europäische Union würde insgesamt vor sich hin siechen. Aus diesem Grunde kann man die Wetten der Finanzmärkte gegen griechische Staatsschulden auch so verstehen, dass Banken und Hedge-Fonds den Mitgliedern und Institutionen der EU zutrauen, notwendige Entscheidungen zu treffen.
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